Bodenstedt - 1881
Die Lieder und Sprüche des Omar Chajjâm. Verdeutscht von Friedrich Bodenstedt. Breslau, Schletter'sche Buchhandlung, 1881.
Full text online version.
Quatrains from Bodenstedt's translation that correspond with the Bodleian Ms.
I 2 [109]
Ich bin in stetem Kampf mit meinem Herzen, - was soll ich thun
Erinn'rung früh'rer Schuld macht mir viel Schmerzen - was soll ich thun?
Verzeihst Du, Herr, auch gnädig meine Sünden:
Das Schuldbewußtsein ist nicht auszumerzen, - was soll ich thun?
I 17 [2]
Ich mag lieber mit Dir sein in der Schencke,
Um dir Alles zu sagen, was ich denke,
Als ohne Dich vor die Kanzel treten,
In gedankenlosen Worten zu beten.
Ja, Du Schöpfer aller Dinge
Im kreisenden Weltenringe,
So will ich leben und sterben,
Zum Segen oder Verderben!
I 31 [15]
Ein jegliches Herz, das die Liebe verklärt,
Gleichviel welcher Glaube die Andacht nährt,
Hat die Leuchte zum Ziel alles Höchsten gefunden,
Hat Himmel und Hölle in sich überwunden.
II 8 [23]
Was quälst Du Dich um Schuld, die längst geschah?
Ist Gnade doch nur für die Schuld'gen da.
Drum, wer sich rühmt, daß er vom Tugendpfade
Sich nie verirrt, der findet keine Gnade.
II 10 [6]
Der Koran, als heiliges Buch geweiht,
Wird doch nur gelesen von Zeit zu Zeit;
Nur der sonnige Becher lockt immer vertraulich
Zur Quelle des Lichts, und wirkt immer erbaulich.
II 12 [91]
Von den Dogmen glaub nur solche, die den Geist zu Gott erheben.
Von dem Brote, das Du hast, wirst Du gern auch Andern geben.
Sprich nichts Böses, thu nur Gutes, suche keines Menschen Pein,
Und Du wirst das ewige Leben haben, sag' ich Dir. Nun bring mir Wein!
II 22 [148]
Von allen Seiten hast Du uns mit Schlingen bedroht
Und sprichst: wer hineinfällt, den trifft der Tod.
Du suchst selbst uns verlockende Fallen zu stellen
Und strafst dann, wen sie verlockt, als Rebellen.
III 3 [9]
Von allen Seiten hast Du uns mit Schlingen bedroht
Und sprichst: wer hineinfällt, den trifft der Tod.
Du suchst selbst uns verlockende Fallen zu stellen
Und strafst dann, wen sie verlockt, als Rebellen.
III 10 [33]
Nur als Gürtel schlingt das Weltall sich um unser dürftig Sein,
Eine Spur nur ist der Oxus unsrer blutigen Thränenpein.
Nur ein Funke ist die Hölle selbsterzeugten Qualgeschicks,
Und der Himmel nur der Segen eines ruhigen Augenblicks.
IV-1 [29]
Kein Mensch kann den Schleier der Schöpfung heben,
Uns ward nur ein Obdach auf Erden gegeben,
Die auch von Geheimnissen so erfüllt,
Daß keines Menschen Geist sie enthüllt.
IV 4 [51]
Durch meine Geburt ward der Welt kein Vortheil geboren;
Durch mein Scheiden wird ihr nichts gewonnen noch verloren.
Warum ich gekommen, warum ich muß scheiden,
Vernahmen noch nie meine beiden Ohren.
IV 9 [72]
Keiner hat noch das ewige Dunkel des Werdens durchdrungen,
Keinem ist je ein Schritt hinaus aus sich selber gelungen;
Wissen der Weisen wie Thoren,
Ganz unzulänglich ist Alles,
Was eine Mutter geboren,
Ganz unzulänglich ist Alles.
IV 16 [103]
Bei einem Töpfer sah ich gestern zweitausend Krüge,
Die einen stumm, die andern redend als ob jeder früge:
Wer hat uns geformt und wo stammen wir her?
Wer ist hier der Käufer, und der Verkäufer, wer?
IV 20 [101]
Willst Du Dein Ohr mir folgsam neigen
Und wahre Liebe zu Gott bezeigen,
Laß mich als guten Rath Dir sagen:
Nie den Mantel der Heuchelei zu tragen.
Zur Ewigkeit zählt jede Stunde,
Und dies Leben währt nur eine Secunde:
Willst Du um solchen Hauch von Zeit
Verkaufen das Reich der Ewigkeit?
V 1 [31]
Urewig vorgezeichnet ist der Dinge Kern;
Der Griffel bleibt dem Guten wie dem Bösen fern;
Was Gott als Schicksal vorbestimmt, muß sich vollenden,
Mag, wie er will, der eitle Mensch sich drehn und wenden.
V 5 [24]
Um Höllenfurcht und Himmelshoffnung drehn
Sich Kirchen, Synagogen und Moscheen;
Doch wer gedrungen bis zum Quell des Lichts,
Macht sich aus Himmel und aus Hölle nichts.
V 8 [41]
Glaub' nicht, daß Alles vom Himmel bestimmt,
Was Gutes und Böses im Menschen glimmt,
Was das Herz betrübt und das Herz erhellt,
Je nachdem es dem launischen Schicksal gefällt.
Das Himmelsrad kreist ohne Ruh
Und ist weit schlimmer daran als Du
Im Wirrsal und getriebe
Auf der Bahn der ewigen Liebe.
V 19 [94]
Wir sind hier nichts als ein Spielzeug des Himmels und der Natur;
Dies ist als Wharheit gemeint, nicht metaphorisch nur.
Wir gehen, wie die Steine im Brettspiel, durch vieler Spieler Hände,
Und werden bei Seite geworfen in's Nichts, wenn das Spiel zu Ende.
V 32 [145]
O Seele, kannst Du den Leiden des Körpers entschweben,
So wirst Du den Flug zum Himmel erheben,
Wirst in den Höhen des Lichtes thronen
Nach der Schmach, in der Welt des Staubes zu wohnen.
VI 2 [13]
Dies ist die Zeit, wo die Welt sich schmückt mit Grün,
Wo, wie Mosis Hand, alle Zweige von Knospen glühn,
Wo die Pflanzen sprossen wie von Jesu Odem belebt
Und die Wolke weinend sich selbst begräbt!
VI 5 [68]
Eh' Du ein Opfer wirst der Pein des Lebens,
O Holde, trink den rosigen Wein des Lebens.
Der Thor nur glaubt, daß man wie Gold ihn nieder
In's Grab senkt und als Gold herauszieht wieder.
VII 4 [40]
Ich weiß nicht, ob, wer Lebensodem in mich blies,
Kam von der Hölle her oder vom Paradies;
Derweil ich hier bei Wein und Spiel von schöner Hand,
Was Ihr im Paradiese sucht, schon lange fand.
VII 17 [105]
Zähl' einfach meine Tugenden und zehnfach meine Sünden,
Doch Gott zu Liebe mußt Du mir für diese Gnade verkünden.
Statt durch den Hauch der Leidenschaft des Hasses Glut zu schüren:
Zu Ehren des Prophetengrabs laß zum Verzeihn Dich rühren.
VII 41 [140]
Alle, die uns schon verlassen haben, o Freund!
Sind im Staube ihres Stolzes begraben, o Freund!
Trinke Wein und vernimm meine Worte der Wahrheit:
Wind war Alles, was sie geredet haben, o Freund!
VIII 23 [67]
Weder heiß noch kalt ist's heute, ein prächtiges Wetter:
Frisch vom Regen gewaschen prangen Rosenkelche und Blätter,
Und die Nachtigall scheint zu den gelben Blumen zu singen:
Lasset auch Ihr von dem himmlischen Naß Euch belebend durchdringen.
IX 9 [89]
Rubinfarb'nen Wein in krystall'nem Pokal bring',
Den Tröster der Herzen und Lindrer der Qual bring'.
Da Du weißt, wir sind Staub, der im Winde verweht:
Bis Dahin Wein zum fröhlichen Lebensmahl bring'!
IX 49 [27]
Im Traum scholl eine Stimmemir in's Ohr:
Im Schlaf erblüht Dir nichts des Glückes Rosenflor.
Trink lieber Wein! Schlaf gleicht dem Todeszustand,
Du hast noch Zeit dazu im ewigen Ruhstand.
IX 62 [26]
Hab' Acht! Deine Seele wird Dir entschweben
Und der Schleier der Ewigkeit sich vor Dir heben.
Trink Wein, denn Du weißt nicht und kannst nicht verstehn,
Woher Du gekommen, wohin Du wirst gehn.
IX 66 [60]
Diese Lebenskarawane ist ein seltsamer Zug,
Darum hasche die flüchtige Freude im Flug!
Mach' Dir um künftigen Gram keine Sorgen,
Fülle das Glas, bald naht wieder der Morgen!
IX 88 [118]
Schon athmet der Morgen, begrüßen wir froh ihn beim Weine
Und werfen des Leumunds zerbrechliches Glas auf die Steine.
Entsagen wir leicht allen schwer zu erreichenden Zielen,
Um in üppigen Locken beim Klange der Harfe zu spielen.
X 16 [149]
Wein, Brot, ein gutes Buch der Lieder:
Ließ ich damit selbst unter Trümmern mich nieder,
Den Menschen fern, bei Dir allein,
Würd' ich glücklicher als ein König sein.